Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus sind beinahe jedem bekannt – dass Menschen auch aufgrund ihres Alters benachteiligt werden, haben hingegen nur wenige auf dem Schirm. Wenn man allerdings einmal darüber nachdenkt, wie häufig Jugendlichen Kompetenzen abgesprochen oder alten Menschen negative Charakteristika zugeschrieben werden, wird klar, welch wichtige Rolle die Stereotypisierung verschiedener Altersgruppen in unserer Gesellschaft spielt.

Der Begriff „Ageism“ geht auf den US-amerikanischen Alterswissenschaftler Robert Neil Butler zurück und wird im Deutschen meist mit „Altersdiskriminierung“ übersetzt. Dieses Wort bildet die verschiedenen Dimensionen von Ageism allerdings nicht adäquat ab, denn es geht nicht nur um diskriminierende Handlungen, sondern auch um unser Denken (in Form von Stereotypen) und Fühlen (in Form von Vorurteilen). In der Regel sind vor allem ältere Menschen von Ageism betroffen, allerdings können auch Jüngere Opfer der altersbedingten Benachteiligung werden. Ageism spiegelt sich beispielsweise darin wieder, dass Personen in der Gesellschaft als negativ oder belastend dargestellt werden, ihnen bestimmte Chancen und Anerkennung verwehrt oder Autonomie und Entscheidungsfreiheit aberkannt werden. Das Alter ist hierbei das relevante Kriterium, welches der entsprechenden Urteilsbildung zugrunde liegt.

Ageism bei älteren Menschen

Auf dem Arbeitsmarkt spielen altersbedingte Benachteiligungen eine zentrale Rolle: Viele Arbeitnehmer werden aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters von vorneherein nicht für Bewerbungen zugelassen, beispielsweise, wenn mit Stellenanzeigen explizit nach Berufsanfängern gesucht wird. Auch die Wahrscheinlichkeit für Beförderungen, Gehaltserhöhungen und die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen reduziert sich im Laufe des Lebens. Besonders drastisch sind die Beschränkungen im Hinblick auf das Beamtenverhältnis: In Thüringen können Bewerber bereits ab einem Alter von 33 Jahren nicht mehr verbeamtet werden, in allen anderen Bundesländern liegt die Obergrenze im vierten oder am Anfang des fünften Lebensjahrzehnts. Diese und weitere Diskriminierungen in der Arbeitswelt werden unter anderem damit erklärt, dass junge Menschen in unserer Gesellschaft als produktiver, engagierter und leistungsorientierter gelten als Ältere, die häufig mit Eigenschaften wie „senil„, „leistungsschwach“ oder „langsam“ in Verbindung gebracht werden. Oft ist diese Zuschreibung der eigentliche Grund für das scheinbar alterstypische Verhalten: Durch negative Vorurteile und Erwartungshaltungen entstehen auf Seiten älterer Mitarbeiter Motivationsverluste und Verunsicherung, welche sich in einer geringeren Arbeitsleistung niederschlagen.

Immer häufiger kommt es auch zu einer Verweigerung der Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmer im Rentenalter. So sorgte 2013 der Fall eines 65-jährigen Lehrers aus Frankfurt am Main für Aufsehen, der gegen seinen Willen pensioniert werden sollte. Das Verwaltungsgericht in Kassel wies die Klage zurück – der Beamte musste zwangsläufig in den Ruhestand eintreten. Kontroversen gibt es ebenfalls im Bereich des Studiums: Eine Vielzahl an Senioren entscheidet sich nach ihrer Pensionierung dazu, aus privatem Interesse an universitären Vorlesungen und Seminaren teilzunehmen. Nicht selten wird argumentiert, sie würden jüngeren Studierenden mit tatsächlichen beruflichen Ambitionen die Plätze streitig machen oder die Aufmerksamkeit von Dozierenden zu stark beanspruchen – belegt sind derartige Vorwürfe nicht.

Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Betrachtung von Ageism ist der Bereich des Gesundheitswesens. In der Corona-Pandemie wurde die Sonderrolle von älteren Menschen besonders deutlich: Als Hauptrisikogruppe waren sie in vielen Ländern Ausgangssperren und drastischen Kontaktbeschränkungen ausgesetzt, die als Eingriff in ihre Freiheit und Selbstbestimmung gedeutet wurden. In Deutschland sah man von einer derartigen Vorgehensweise ab und appellierte lediglich an die Eigenverantwortung der Senioren. Familienministerin Franziska Giffey betonte, dass ältere Menschen „mündige Bürger“ seien und es nicht zu einer „Zweiklassengesellschaft“ kommen dürfe. Im Kontext der Triage-Problematik, die während der Pandemie immer wieder Thema war, wird ebenfalls davon ausgegangen, dass man jüngeren Menschen beim Zugang zu lebenserhaltenden Maßnahmen den Vortritt lassen sollte. Es sei jedoch nicht angebracht, ältere Menschen pauschal „auszusortieren“, stattdessen müsse auf den Gesundheitszustand und die voraussichtliche Restlebenserwartung jedes einzelnen Individuums Acht gegeben werden. Kritiker bemängeln, dass dies in Katastrophenfällen nicht in ausreichendem Maße geschieht und auch im medizinischen Normalbetrieb zu Lasten Älterer rationalisiert werden würde.

Ageism bei jüngeren Menschen

Dass auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter Ageism leiden, zeigte sich ebenfalls in der Corona-Pandemie – sie galten lange als Hauptverantwortliche für die hohen Infektionszahlen, da sie ihre Kontakte angeblich nicht ausreichend einschränken würden und statt dem Gemeinschaftsinteresse ihr eigenes Wohlergehen an erste Stelle setzten. Ein weiteres Beispiel ist in diesem Kontext die Veröffentlichung des „Besondere Helden“-Videos der Bundesregierung, in welchem jüngere Menschen als faule Partygänger porträtiert werden. Derartige Sichtweisen sind vor allem in den Köpfen älterer Personen tief verankert, weshalb es häufig vorkommt, dass alle Jugendlichen über einen Kamm geschert und die negativen Eigenschaften einzelner Vertreter auf die gesamte Generation übertragen werden. Jüngere Menschen gelten in der Gesellschaft als laut, aufmüpfig, unreif und verantwortunglos und werden mitsamt ihrer Gefühle, Ideen und Innovationen selten ernst genommen. Dies beweist auch die Geschichte von Greta Thunberg, deren Fridays-for-Future-Bewegung lange belächelt wurde. Bis heute sind viele Menschen der Ansicht, Kinder und Jugendliche könnten sich nicht politisch einbringen, da sie eine zu naive Weltsicht und wenig Gespür für die Realität mit sich bringen würden.

Auch auf dem Arbeitsmarkt kommt es häufiger zur Benachteiligung jüngerer Menschen: Viele von ihnen finden aufgrund mangelnder Berufserfahrung keine Möglichkeit, entsprechende Erfahrungen zu sammeln und verstricken sich daher in einem Teufelskreis. Zudem gestaltet es sich für junge Erwachsene oft als schwierig, sich im Kampf um eine Stelle gegenüber älteren, routinierteren Mitbewerber durchzusetzen – und das, obwohl sie häufig kreative Vorschläge und neue Perspektiven einbringen könnten, aus denen die Unternehmen erwiesenermaßen Nutzen ziehen würden. Stattdessen werden vor allem hochrangige Positionen oft nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit besetzt: Ältere Menschen stellen also lieber andere ältere Menschen ein, deren Wertvorstellungen und Orientierungen mit ihren eigenen übereinstimmen. Heutzutage wird daher auch oft von der „Generation Praktikum“ gesprochen, die lange Zeit nicht über unbezahlte Hilfstätigkeiten herauskommt. Die hohen Jugendarbeitslosigkeitsquoten in vielen europäischen Ländern lassen sich mit ähnlichen Ansätzen erklären.

Ageism als Generationenkonflikt

In der Debatte um Altersdiskriminierung fällt häufig auch der Begriff der Generationengerechtigkeit. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Diskussion um die Rentenkasse und den sogenannten „Generationenvertrag“, nach welchem die jüngere Generation am Arbeitsmarkt die Renten der Pensionierten erwirtschaftet. Durch den demografischen Wandel müssen immer weniger Beschäftigte immer mehr Rentner finanzieren, was von Seiten jüngerer Menschen teilweise auf Widerstand stößt. Besonders in der Kritik stehen dabei kinderlose Senioren, denen unterstellt wird, nichts zum sozialen Sicherungssystem beizutragen und sich auf Kosten anderer ein schönes Leben zu machen, während der Lebensstandard der jungen Generation zunehmend bedroht wird. Ein derartiges Verhalten kann ebenfalls als Ausprägung von Ageism verstanden werden und erfordert wie alle anderen Konflikte, die in diesem Artikel angesprochen wurden, die Bereitschaft zur Kommunikation auf Augenhöhe.

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