Framing

Zukünftig soll in Australien nicht mehr von „Haiangriffen“ die Rede sein. Was auf den ersten Blick wie überzogene „Political Correctness“ wirkt, ist nur eine Klarstellung von Sachverhalten: Denn Worte können täuschen.

Etwa 1930 hat es angefangen: Statt von „shark accidents“ wurde angefangen von „shark attacks“ zu sprechen. Angestoßen hat den Trend der in Sydney, Australien, geborene Chirurg Sir Victor Coppleson. Und spätestens ab 1975, nachdem Stephen Spielbergs Weißer Hai in den Kinos Landgang feierte, hatten die Tiere den Ruf blutrünstiger Monster und Menschenfresser inne.

DIE LEGENDE VOM KILLER-HAI

Unverdient, wohlgemerkt: Obwohl Menschen durch Begegnungen mit Haien sterben – letztes Jahr waren es in Australien acht Personen –, so enden mehr als ein Drittel aller Vorfälle ohne jegliches Blutvergießen. Menschen gehören nicht zum klassischen Beuteschema der Tiere, daher entstehen die häufigsten Angriffe durch Verwechslungen mit Robben, beim Eindringen in ihr Territorium oder wenn das Blut harpunierter Fische im Wasser verteilt ist.

Im Gegensatz dazu sterben aufgrund von Fischerei und „shark finning“ laut wissenschaftlichen Untersuchungen über 100 Millionen Haie pro Jahr – das sind mehr als 270.000 tote Haie pro Tag. Beim „shark finning“ werden den Tieren bei lebendigem Leib die Flossen abgeschnitten und die – immer noch lebenden – Haie manövrierunfähig und hilflos zurück ins Meer geworfen. Die Flossen, die an sich keinen Eigengeschmack haben, gelten bei vielen Menschen in Asien, aber auch Nordamerika und Europa als Delikatesse.

Um Sensibilität für die missverstandenen Tiere zu schaffen, will die australische Regierung also wieder von „incidents“ (Vorfällen), „interactions“ (Interaktionen) und „negative encounters“ (negativen/schlechten Begegnungen) mit Haien sprechen. Damit wir Haie wieder als das sehen, was sie wirklich sind: Ein unersetzbarer Teil des Ökosystems.

Dasselbe Prinzip lässt sich auch auf unseren Umgang mit dem Wolf übertragen: Kaum tauchen die ersten Tiere wieder in unseren Wäldern auf, nachdem wir sie in Deutschland ausgerottet hatten, da wird schon wieder Angst geschürt. Und was mit Worten anfängt, das endet mit dem Gewehr – und einem weiteren Wolf, dem wir das Recht auf Leben aufgrund eigener Versäumnisse abgesprochen haben.

EUPHEMISMEN UND DYSPHEMISMEN

In den Jahren 2015 und 2016 flüchteten Millionen von Menschen vor Krieg und Elend. Europa baute indessen fleißig Grenzzäune. Nicht jedes Land wohlgemerkt und nicht sofort, doch früher oder später wurde es überall diskutiert. In den darauffolgenden Jahren sahen wir auch einen enormen Anstieg rechtsextremer, nationalkonservativer und islamfeindlicher Gruppierungen. Die Wörter „Migranten“, „Flüchtlinge“ und „Asylanten“ wurden zu Waffen, mit denen jetzt ein Krieg der Weltanschauungen geführt wurde. Bis gegen „Messermänner“ und „Kopftuchmädchen“ gehetzt wurde war es nur noch ein Katzensprung.

Gruppen wie Pegida, die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ oder die „Identitäre Bewegung“ wollten mit schönen Worten locken. Eine Identität zu haben, auf die man stolz ist, kann schließlich nicht so falsch sein, oder? Jeder von uns hat ja eine Identität. Beides sind Euphemismen (beschönigende Ausdrücke) für die gleiche Aussage: „Die da sind anders, deshalb wollen wir die hier nicht“. So können wir uns selbst dabei erwischen, wie wir mit einigen Aussagen sympathisieren, solange wir sie nicht im großen Kontext betrachten. Denn natürlich will keiner Kriminelle ins Land lassen und ja, einige der Geflüchteten sind straffällig geworden. Aber ob jemand eine Straftat begehen wird, lässt sich an Hautfarbe oder Name genauso gut ablesen wie am Sternzeichen – nämlich gar nicht.

Und dann sind da ja noch die verdammten Gutmenschen: Das sind diese verblendeten, naiven Leute, die anderen Menschen in Not helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Widerlich, nicht wahr? Das war übrigens Sarkasmus und außerdem ein perfektes Beispiel für einen Dysphemismus (negativ wertender Ausdruck).

SCHULDZUWEISUNG UND WERTUNG

Wörter können Sachverhalte implizieren, die sich in der Realität nicht so widerspiegeln. Wenn ich etwa „Hartzer“ sage, dann denken die meisten Menschen an Schmarotzer, die auf Kosten des Staates leben und zu faul sind, um zu arbeiten. Schließlich hören wir die ganze Zeit, dass die Wirtschaft wächst. Die Jobsuche sollte da doch kein Problem sein. Somit ist es ihre eigene Schuld und zudem noch zutiefst verwerflich. Wir verlieren so aber aus dem Blick, dass die meisten Menschen, die Hartz IV bekommen, das eben nicht aus Bequemlichkeit machen: Das ist auch nur ein Gedanke, auf den Leute kommen können, die sich noch nie mit dem Papierkram und den psychischen Folgen dessen befassen mussten.

Der Begriff „Flüchtlingskrise“ stellt die Geflüchteten ins Zentrum der Debatte, obwohl wir viel mehr über die Normalisierung fremdenfeindlichen Gedankenguts reden sollten.

„Toxische Männlichkeit“ kritisiert ein Bild von Männlichkeit, lässt aber in seiner Begrifflichkeit außen vor, dass besonders Männer darunter leiden. So wie Frauen werden nämlich auch Männer in ein gesellschaftliches Korsett gezwängt und das nicht nur von anderen Männern. Stattdessen einen Begriff wie „toxische Rollenbilder“ zu benutzen, wäre viel neutraler, allgemein umfassender und ein ganzes Stück weniger polemisch.

WORTE SIND FÜR DIE EWIGKEIT

Egal wie ein Wort am Ende des Tages gemeint ist, es weckt immer Assoziationen: Ein „Angriff“ ist eben eine aktive, in unseren Augen böswillige, Handlung. Und natürlich weiß ich, was es mit „toxischer Männlichkeit“ auf sich hat, trotzdem empfinde ich das Wort als jemand, der selbst schon darunter gelitten hat, als schlicht und ergreifend irreführend. Sollten wir in 100 Jahren noch von der „Flüchtlingskrise“ sprechen, wer garantiert dann, dass diese in all ihren Nuancen im kollektiven Gedächtnis bleibt?

Das Problem besteht darin, dass Worte für lange Zeit bestehen und sich Bedeutungen mit der Zeit wandeln können. Was heute noch selbstverständlich ist, könnte in Zukunft ganz anders gedeutet werden. Sprache ist schließlich für alle da, aber nicht alle führen bei jedem neuen Wort einen ausführlichen etymologischen Hintergrundcheck durch.

Auch wenn es vermutlich niemals eine komplett wertfreie Sprache geben wird, eine weitestgehend unmissverständliche Sprache zu benutzen ist ein Schritt in die richtige Richtung.

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