Sexistische Frauen?

Sätze wie: „Ich hänge lieber mit Männern ab, Frauen sind mir zu dramatisch“ oder „Frauen, die mit Sexismus nicht umgehen können, sind nicht schlagfertig genug“ würden wir sofort als sexistisch und frauenfeindlich abstempeln, weil solche Aussagen Abwertung und Unterdrückung implizieren. Dass solche Behauptungen oft eben nicht von Männern, sondern von Frauen aufgestellt werden, klingt zunächst sehr abwegig. Ich als aufgeklärte, feministische Frau reproduziere doch keinen Sexismus – oder etwa doch?

Das Phänomen „Lateral Violence“ oder „Internalized Misogyny“ beschreibt die verinnerlichte Frauenfeindlichkeit von Frauen gegenüber Frauen als Reaktion auf die herrschende Unterdrückung in den eigenen gesellschaftlichen Verhältnissen. Menschen, die selbst diskriminiert werden, nehmen unterdrückende Denkschemata und Praktiken an und reproduzieren diese, um sich selbst aufzuwerten. Dieses Prinzip hat den Ursprung im Konzept der postkolonialen Theorie. Demnach übernahmen kolonisierte Menschen die unterdrückenden Mechanismen der Kolonisatoren und wandten diese gegen andere Kolonisierte an.

URSACHE UND WIRKUNG

Durch das Prinzip der internalisierten Misogynie werden oft Dinge abgelehnt, die in unserer Gesellschaft als weiblich verstanden werden, wie romantische Filme, Schminke oder hohe Schuhe. Diese Stereotypen sind nicht wirklich weiblich, sondern werden vielmehr gesellschaftlich als frauenhaft konstruiert. Prinzipiell ist es also gut, sich von klischeehaften Konventionen zu lösen, aber oft wenden sich Frauen daraufhin absichtlich vermeintlich männlichen Denkweisen zu. Sie erhoffen sich Vorteile durch die Anpassung an gesellschaftliche Verhältnisse und Normalitätsvorstellungen. Die Ursache dessen liegt in den etlichen Doppelstandards, die Frauen seit ihrer Kindheit beigebracht bekommen. Kreischende Mädels auf Popkonzerten sind lächerlich – grölende Männer auf Fußballspielen sind in Ordnung. Frauen sind Heulsusen – Männer gefühlvoll. Männer sind tough, wenn diese sich gut durchsetzen können – Frauen hingegen sind Zicken, wenn sie sich mit denselben Mitteln Gehör verschaffen wollen. Diese Standards diskriminieren Frauen nicht nur, sie haben enorme Auswirkungen auf ihre Identitätsfindung und ihr Selbstbewusstsein. Aufgrund der Bestrebung nach derselben Bestätigung internalisieren Frauen den Sexismus gegen sich selbst, indem vermeintlich männliche Attribute übernommen werden. Diese internalisierte Misogynie äußert sich oft in Form von Rivalitätsdenken und Missgunst von Frauen gegenüber Frauen.

INTERSEKTIONALE PERSPEKTIVE

Dieses Phänomen existiert nicht nur auf einer Ebene, sondern unterscheidet sich je nach Perspektive. Eine weiße heterosexuelle Frau ist anderen Ausgrenzungsmechanismen ausgesetzt als eine schwarze LGBTQA+-Frau, die neben Sexismus auch mit Homophobie und Rassismus konfrontiert wird. Aussagen wie: „Du inszenierst dich so männlich“ sind Behauptungen, die teilweise auch homosexuelle Frauen aufstellen, um sich den diskriminierenden gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen und die daraus resultierende Anerkennung zu bekommen. Dass Frauen dabei eher bei der eigenen Unterdrückung mitwirken, wird außer Acht gelassen.

Oft ist es schwierig zu realisieren, dass man diskriminierende Muster wiederholt und damit die eigene Unterdrückung begünstigt. Trotzdem ist es wichtig und notwendig, die eigenen Aussagen und Verhaltensweisen zu hinterfragen, um solche Angewohnheiten zu verlernen. Anstatt uns gegenseitig in einem ständigen Konkurrenzkampf zu sehen und Anerkennung zu suchen, die wir gar nicht brauchen, sollten wir lieber die großartigen Frauen in unserem Leben feiern.

Noch ein kleiner Tipp an Mann und Frau: Schreit soviel ihr wollt bei Konzerten, schaut euch die schnulzigsten Liebes- oder die krassesten Actionfilme an, schminkt euch, tragt hohe Schuhe, lacht, weint, macht einfach das, worauf ihr Lust habt und werft angebliche Geschlechterstereotype über Bord.

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