Altruismus

Altruismus ist eine Denk- und Handlungsweise, die sich zugunsten eines anderen Individuums verhält. Das Ziel der Handlung ist es also nicht, das eigene Wohlergehen zu stärken, sondern die Interessen einer Gemeinschaft oder einer einzelnen Person zu vertreten, auch dann, wenn sich daraus Nachteile für einen selbst ergeben. Aber ist diese Art der Selbstlosigkeit wirklich real? Sind Menschen überhaupt dazu in der Lage etwas Uneigennütziges zu tun, ohne nicht einen winzigen egoistischen Hintergedanken zu haben? 

Schon griechische Philosophen wie Sokrates befassten sich mit dem Phänomen der grenzenlosen Nächstenliebe und prägten den Begriff Philanthrop – ein uneigennütziger Menschenfreund. Als Philanthropie bezeichnet man eine wohlwollende und liebevolle Verhaltensweise, die allerdings per Definition weniger aufopfernd ist als der altruistische Mensch, der durch den Einsatz für andere auch erhebliche Verluste einstecken würde.

Schon in der Antike tummelten sich also einige selbstlose Menschen – oder Titanen wie der Gott Prometheus, der im 5. Jahrhundert vor Christus als einer der ersten Philanthropen bezeichnet wurde, weil er sich gegen Zeus, den übermächtigen Herrscher der Götter, richtete und auf die Seite der Menschen stellte. Zusammen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen stahl Prometheus den Göttern das Feuer und übergab es den Menschen. Als Strafe wurde er am Ende der Tragödie in das griechische Totenreich verdammt. Er musste also für immer in der Hölle schmoren und sich mit dem grausamen Höllengott Hades herumschlagen, während die Menschen ihr sterbliches Dasein entspannt und zufrieden verbringen konnten.

Zugegeben, das Beispiel ist ziemlich abstrakt und wenn man nichts mit griechischer Mythologie anfangen kann, wahrscheinlich auch ziemlich sinnlos. Schließlich kann sich jeder eine solch heroische Geschichte ausdenken. Dann vielleicht jetzt ein menschlicheres Beispiel. Stell dir vor, du stehst an einem Bahnhof und wartest ungeduldig auf den Zug, der schon zehn Minuten Verspätung hat. Plötzlich siehst du im Augenwinkel einen Mann ausrutschen und stolpern, – er verliert das Gleichgewicht und stürzt auf die Schienen. Was machst du jetzt? Du hörst den Zug, der sich dem Bahnhofssteig nähert und siehst den Mann, der hilflos auf dem Boden liegt. Ein altruistischer Mensch würde nicht zögern und seine Aufgabe sofort erkennen: Auf die Gleise springen, den Mann zwischen die Schienen drücken und sich schützend über ihn legen, in der Hoffnung, der Zug würde über die zwei drüber rollen, ohne das jemand verletzt werden würde. Der selbstlose Mensch würde also in Kauf nehmen, für einen wildfremden Menschen zu sterben. 

Bei diesem Beispiel finde ich es übrigens absolut in Ordnung, kurz zu zögern, – schließlich steht dein eigenes Leben auf dem Spiel. Und zwar für einen Menschen, der weder ein Freund, ein Familienmitglied oder bloß eine Bekannte ist. Und wenn so der wirkliche, aufopfernde Altruismus definiert wird, bin ich mir nicht sicher, ob ich dieses Gefühl in mir trage. Ich wüsste nicht mit hundertprozentiger Gewissheit, dass ich hinterherspringen würde, um den Mann zu retten. Du? Und sind wir deswegen schlechte Menschen – Menschen, die nicht selbstlos handeln können?

SELBSTLOSIGKEIT ODER SELBSTBEWEIHRÄUCHERUNG?

Um die Dramatik etwas aus dem Diskurs zu nehmen, beziehe ich mich noch mal auf ein neues Beispiel. Ich weiß nicht mehr das genaue Jahr und auch nicht mehr den genauen Schauplatz, aber in einem kleinen Ort in Deutschland sollten geflüchtete Menschen die Möglichkeit haben, Zuflucht zu finden. Allerdings kamen vielmehr Menschen, als Kapazitäten zur Verfügung standen. Als sich dieses Ereignis rumsprach, sammelten sich schnell einige hilfsbereite Helfer, um Essen zu kochen, Schlafplätze bereitzustellen oder seelischen Beistand zu leisten. Während ich den Bericht sah und die Menschen (die Helfer, nicht die Geflüchteten) interviewt wurden, in die Kamera lächelten und davon berichteten, welch eine Freude es ist, den armen, hilflosen Menschen zu helfen und dass das ja alles selbstverständlich und sie selbst überhaupt nicht so tolle Menschen seien, wie jetzt vielleicht angenommen wird, fragte ich mich, ob das grenzenlose Nächstenliebe oder Selbstliebe war. Ging es wirklich darum, Menschen zu helfen, die furchtbares Leid erlebt haben oder um die Beweihräucherung von einem selbst? Können wir uns nur dann vollends für andere aufopfern und einsetzten, wenn am Ende das Gefühl von Anerkennung und Dankbarkeit auf uns wartet? Und ist das nicht egoistisch

Es gibt also vielleicht noch ein paar mehr Motive anderen zu helfen als die bloße Opferbereitschaft. Der Sinn nach Gerechtigkeit, die eigene moralische Verpflichtung, Religion, Selbstverwirklichung, Mitleid, Liebe und Dankbarkeit von anderen – all das sind Faktoren, die uns altruistisch handeln lassen. Und ich würde behaupten, dass wir alle altruistische Werte in uns tragen, – die einen mehr, die andern weniger. Wir vertreten bestimmte Werte, die wir in der Gesellschaft wiederfinden möchten. Wir wollen Teil einer Gemeinschaft sein, die denselben moralischen Kompass wie wir besitzen. Und vielleicht sind die Motive, die uns anspornen, anderen gegenüber selbstlos und hilfsbereit zu sein, nicht immer uneigennützig. Vielleicht versprechen wir uns von unserem Handeln einen Nutzen für uns selbst in Form von Dankbarkeit, Anerkennung oder dem Gefühl, auch Hilfe zu erhalten, wenn wir sie benötigen. Ein Geben und Nehmen eben. Ich würde das als gesunden Egoismus bezeichnen. Im Endeffekt ist es doch auch egal, warum wir das Richtige tun, viel wichtiger ist doch, dass wir es tun. 

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