Vater-Tochter-Beziehung

Fast immer sind es die Mütter, die mit der Entwicklung von Kindern in Verbindung gebracht werden. Neue Studien zeigen jedoch, dass auch das Verhalten der Väter eine wesentliche Rolle spielt – und den Lebensweg ihrer Töchter weit über die ersten Jahre hinaus beeinflussen kann.

Als Kind hatten die meisten von uns vermutlich eine völlig andere Vorstellung von ihrer Zukunft, als es heute der Fall ist: Ebenso wie Interessen und Vorlieben ändern sich auch Berufswünsche und Lebenspläne im Laufe der Zeit. Trotzdem wird der Grundstein für unsere spätere Laufbahn oft schon in jungen Jahren gelegt – und zwar durch unsere Väter. Wer als Frau in einem eher männlich konnotierten Berufsfeld arbeitet, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer egalitär geprägten Familie aufgewachsen. Wenn Väter sich nicht allein aufs Geldverdienen konzentrieren, sondern auch im Haushalt und in der Kinderbetreuung mit anpacken, hat dies einen positiven Einfluss auf die Zukunft ihrer Töchter: Sie werden weniger stark mit traditionellen Geschlechterrollen konfrontiert und entwickeln daraus häufig einen intensiveren Wunsch nach beruflicher Selbstverwirklichung. Bewiesen hat dies eine Studie der University of British Columbia. Die beteiligten Forscher*innen kamen hierbei ebenfalls zu dem Schluss, dass die Einstellung der Väter lediglich die Berufswahl von Töchtern tangierte – der spätere Karriereweg der Söhne blieb hingegen unbeeinflusst.

Die Beziehung zum eigenen Vater scheint im Leben einer Frau also eine wichtigere Rolle zu spielen, als ursprünglich angenommen. Diese Erkenntnis hält erst allmählich Einzug in die Wissenschaft, standen doch lange Zeit die Mütter im Zentrum der Entwicklungspsychologie und Kindheitsforschung – schließlich waren sie auch diejenigen, die primär für ihre Kinder verantwortlich waren. Mittlerweile kommt es jedoch zu einem stetigen, wenn auch langsamen Wandel der klassischen Familien- und Geschlechterstruktur: „Neue Väter“ lautet das Stichwort. Die heutige Papa-Generation reserviert nicht nur das Wochenende für ihre Kinder, sondern bespaßt, bekocht und betreut diese beinahe im selben Umfang wie ihre Partnerinnen. So lautet zumindest die Theorie – die Realität ist aktuell noch eine andere, wie verschiedenste Studien und Erfahrungsberichte nahelegen. Dennoch lässt es sich kaum leugnen, dass sich das Vaterbild im 21. Jahrhundert drastisch verändert hat und Väter heutzutage eine andere Position im Leben ihrer Kinder einnehmen als noch vor fünfzig oder hundert Jahren. Dementsprechend orientiert sich auch die Forschung neu – seit den 1980er Jahren gewinnt die Untersuchung von väterlichen Lebenswegen und Beziehungen zunehmend an Bedeutung.

Vaterfiguren beeinflussen nicht nur die Berufswahl ihrer Töchter – auch im Bereich der Partnerschaften ist ihre Einwirkung nicht unerheblich. Als erster Mann im Leben vieler Frauen prägt unser Vater das Bild, welches wir von Männern im Allgemeinen haben. Frauen, die von ihrem Vater als Kind unterstützt, wertgeschätzt und ermutigt wurden, führen in der Regel glücklichere Beziehungen. Hatte man hingegen kein gutes Verhältnis zu seinem Vater, kann dies auch das Liebesleben sowie den Umgang mit anderen Männern negativ beeinträchtigen. Unter Umständen führt dies zu dem Phänomen, welches im küchenpsychologischen Sprachgebrauch gern als „Daddy Issues“ bezeichnet wird. Ein sogenannter Vaterschaftskomplex, nach dem betroffene Frauen in ihren Partnern ein Abbild des eigenen Erzeugers suchen – mitsamt potenziell negativer Charakteristika -, tritt in der Realität jedoch vergleichsweise selten auf.

Doch wie kommt es eigentlich dazu, dass die Vaterbeziehung sich vor allem auf Töchter, nicht aber auf Söhne auswirkt? Laut der Psychologin Inge Seiffge-Krenke hat dies unter anderem mit den grundlegenden Charakterzügen der Kinder und Elternteile zu tun. Väter vermittelten häufiger Werte wie Durchhaltevermögen, Ehrgeiz, Selbstständigkeit und Vertrauen in die eigene Kompetenz. Mütter hingegen fokussierten meist stärker auf intensive Gespräche und Auseinandersetzungen mit den eigenen Gefühlen – ein durchaus begrüßenswerter Ansatz, der jedoch nicht selten in innerer Unruhe der Sprößlinge resultiert. Da Mädchen während der Pubertät ohnehin unter einem höheren Stresslevel und stärkeren Selbstzweifeln leiden als Jungen, kommt ihnen die lösungsorientierte Unterstützung ihrer Väter besonders zugute: Die Bindung zwischen beiden Akteuren wird gestärkt.

Bedeuten diese Erkenntnisse nun, dass Mädchen, die ohne Vater aufwachsen, prinzipiell schlechter dran sind? Nein, auf keinen Fall. Wichtig ist lediglich, dass es im Leben des Kindes eine Vaterfigur gibt, welche die entsprechenden Aufgaben übernehmen kann. Ob dies der Großvater, ein Onkel, ein Familienfreund oder sogar eine weitere Mutter ist, tut erst einmal nichts zur Sache. Der Psychologe Andreas Eickhorst weist in diesem Kontext darauf hin, dass „typisch männliche“ Eigenschaften nichts mit dem Geschlecht einer Person, sondern vielmehr mit erlernten Rollenmustern zu tun haben. Väter verfügen nicht von Natur aus über die oben genannten Charakteristika, sondern erlernen diese in Folge ihrer Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung – wenn sie wollen, können Frauen ihre Kinder demzufolge genauso sehr bestärken und motivieren wie Väter. Wieder einmal zeigt sich also auch hier: Ein Abrücken von sperrigen Geschlechternormen bietet Vorteile für alle Beteiligten.

Das könnte dich auch interessieren: