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Bei True-Crime-Formaten trifft grausame Fiktion auf das reale Leben – und wir lieben es! Ob Podcast, Serien oder Bücher – True Crime liegt voll im Trend. Aber warum finden wir echte Verbrechen so interessant und woher kommt die Faszination für das Böse?

EVOLUTIONÄRE GRUNDLAGE

In einem Interview mit dem GEO-Magazin erklärt der Psychiater Borwin Bandelow, warum jeder Mensch dazu in der Lage ist, Lust an der Angst zu verspüren. Auf gewisse Art und Weise lieben wir es uns zu fürchten, mit dem Zusatz, dass wir nicht selbst in eine gruselige Situation involviert werden wollen. Wir möchten uns also keiner realen Furcht aussetzten und einem Serienmörder auf der Straße begegnen, sondern Verbrechen aus sicherer Entfernung beobachten. Dass uns der Nervenkitzel so anzieht, liegt vor allem daran, dass Angst- oder Stresssituationen im Gehirn euphorisierende Stoffe auslösen. Die berühmten Endorphine sorgen für ein Hochgefühl und lassen uns Stärke und Glück empfinden. Dieses Phänomen ist evolutionsbedingt – früher wurde der Mechanismus genutzt, um gegen Raubtiere zu kämpfen und Nahrung zu suchen. Der berauschende Kick der Endorphine hält nach dem Angstzustand noch eine Weile an und motiviert uns, uns abermals der Angst auszusetzen. Aber warum erleben wir ausgerechnet mit True-Crime-Geschichten solch ein Hochgefühl? Laut Bandelow liegt das vor allem an der realen Schilderung des Verbrechens, denn je echter die Tat, desto stärker wird das Angstsystem aktiviert und desto höher ist die Endorphinausschüttung.

Die Frage, warum wir uns an dem Leid anderer Menschen so ergötzen, steht trotzdem im Raum. Normalerweise tragen wir doch einen moralischen Kompass in uns, der ganz klar sagt: Gewalt in jeglicher Form ist falsch! Obwohl wir an moralischen Normen und Werten festhalten, empfinden wir beim Lesen oder Zuschauen von True-Crime-Erzählungen eine gewisse Befriedigung. Dieser Zustand ist ebenfalls evolutionsbedingt: Logischerweise setzten sich früher die Menschen durch, die das Töten von Feinden und Tieren übernahmen, um Ressourcen zu bewahren und Nahrung zu sichern. Die Menschen, die das Töten am berauschendsten fanden, sind also unsere Vorfahren. Für Borwin Bandelow ist klar: Die Lust an Gewalt ist in jedem von uns verankert, in den einen mehr und in den anderen weniger.

DAS GAFFER-SYNDROM

Was True Crime von fiktiven Kriminalfällen unterscheidet, ist, dass so grausame und abscheuliche Verbrechen wirklich passiert sind. Mit diesem Wissen erhöht sich der eigene Schockfaktor und es verhält sich ähnlich wie bei einem Autounfall – man will zwar selbst nicht in den Unfall involviert sein, ist aber fasziniert von dem Leben anderer Menschen und fängt an zu gaffen. Die eigenen Emotionen werden durch die Rolle, die man in der True-Crime-Geschichte einnimmt, nochmals verstärkt. Während wir bei fiktiven Verbrechen nicht mitbestimmen können, wie die Geschichte ausgeht, nehmen wir bei ungelösten Verbrechen die Rolle von Falllösern ein und entscheiden selbst, ob eine Person schuldig oder unschuldig ist.

TRUE CRIME IST FRAUENSACHE

Insbesondere Frauen sind fasziniert von True-Crime-Geschichten. Mehreren Studien zufolge liegt der Anteil von Podcast-Hörerinnen bei 65–70 Prozent und auch die beliebte True-Crime-Zeitschrift „Stern-Crime“ wird zu 81 Prozent von Frauen gelesen. Das liegt vor allem daran, dass sich Frauen gedanklich mehr als Männer mit Verbrechen auseinandersetzen, weil sie Angst haben, irgendwann selbst einmal zum Opfer zu werden. Der Begeisterung für True Crime liegt also ein praktischer Nutzen für das eigene Leben zugrunde – das Entwickeln von Verteidigungsstrategien. Je mehr wir uns mit echten Verbrechen beschäftigen, desto besser können wir Situationen, die uns selbst betreffen, einschätzen und darauf reagieren.

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