Das Bewerbungsgespräch, eine verspätete Bahn, ein Vortrag oder einfach die Summe der Aufgaben des Alltags. Der Atem wird schneller, der Blutdruck steigt, das Herz pumpt und Schweiß bildet sich auf der Stirn. Stress fühlt sich alles andere als angenehm an. Dennoch sollte er nicht nur als Feind gesehen werden, hat er doch auch seine positiven Seiten.

Warum braucht es Stress?

Stress ist eine körperliche und psychische Reaktion auf zuvor wahrgenommene meist äußere Reize (Stressoren). Für den Menschen ist Stress überlebensnotwendig, da er es ermöglicht, sich schnell an verändernde Situationen und Umweltbedingungen anzupassen. 

Angenommen, man wird in den eigenen Wänden aus dem Nichts angesprochen. Die Chance ist hoch, dass man zusammenzuckt, sich erschreckt und Stress-Symptome erlebt. Nahezu zeitgleich muss der Körper eine entscheidende Frage beantworten, ein tief verankertes evolutionäres Verhalten: „Fight or Flight“ – auf Deutsch: Kämpfen oder Fliehen. Man befindet sich in diesem Zustand in Alarmbereitschaft und ist darauf vorbereitet, schnell zu reagieren. 

Solche Stressoren gehen aber meist schnell wieder vorbei. In einer Leistungsgesellschaft wie Deutschland können hohe Anforderungen (und eigene Erwartungen) allerdings für einen dauerhaft gestressten Zustand sorgen (chronische Stressoren). Und ja, das ist alles andere als gesund. 

Oftmals ist Stress ein Teufelskreis. Merkt man, dass man gestresst ist, kann das zu noch mehr Stress führen. Man hatte sich dieses Mal doch vorgenommen nicht so nervös vor dem Vortrag zu sein, warum funktioniert es denn nicht? Diese Denkweise resultiert aus dem Glauben, dass Stress uns schadet. Wie wäre es aber, wenn man lernt, den Stress anzunehmen, ihn sogar zu schätzen?

Der Blickwinkel ist entscheidend

Dass Stress positive Seiten hat, sogar zu einem gesünderen Leben beitragen kann, wird von Untersuchungen aus dem US-amerikanischen Raum gestützt. Firdaus Dhabhar ist Professor für Psychiatrie an der kalifornischen Stanford University, Neuroimmunologe und Krebsforscher. Er hat untersucht, wie Stress hilft, gesund zu bleiben oder sogar zu werden. Ist der Körper gestresst, bringt er seine Abwehr auf Vordermann und trainiert sie auf Nachhaltigkeit, indem Immunzellen produziert und verteilt werden. „Mehr Verteidiger, mehr Feuerkraft auf allen potenziellen Schlachtfeldern“, erklärt Dhabhar

Zu ähnlichen Erkenntnissen kamen auch andere US-Wissenschaftler, wenngleich ihre Darstellungsform etwas drastischer ausfällt. Sie sammelten alte Umfragen, auf denen Aussagen zu Stress erfasst wurden. Darunter auch, wie gestresst sich Teilnehmer*innen fühlten und ob sie glaubten, dass ihnen dieser Stress schadet. 

Die Forschenden werteten aus, wer von den Befragten noch am Leben war. Jene Teilnehmer, die viel Stress hatten und dachten, er gefährde ihre Gesundheit, wiesen ein 43 Prozent höheres Sterberisiko auf. Die Menschen, die ihren Stress für unbedenklich, aber vorhanden hielten, wiesen das niedrigste Sterberisiko auf. Selbst relativ stressfrei lebende Menschen hatten ein höheres Risiko zu sterben. In ihrem TedTalk stellt Psychologin Kelly McGonigal klar: Über acht Jahre erfassten die Forschenden die Todesfälle. Insgesamt 182 000 Amerikaner starben in dieser Zeit nicht allein wegen ihres Stresses, sondern vor allem wegen ihres Glaubens, Stress schade der Gesundheit. Aus diesem Grund versucht sie, Menschen einen anderen Blickwinkel auf Stress zu ermöglichen.

Stress: Was passiert eigentlich?

Befindet man sich in einer Stresssituation, wird das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet. Es setzt das Gehirn „unter Strom“ und ermöglicht durch die Stimulierung des Hippocampus (Ort des Langzeitgedächtnisses), dass man Inhalte besser abspeichern kann. Unterstützend hilft das schnell schlagende Herz, mehr Sauerstoff in das Gehirn zu pumpen. 

McGonigal erklärt ebenfalls, dass Stress den Menschen zu einem sozialeren Wesen macht. Grund dafür ist das Hormon Oxytocin, welches unter anderem bei Umarmungen ausgeschüttet wird. Oxytocin schärft die sozialen Instinkte eines Menschen, wird aber auch als Antwort auf Stress vom Körper ausgeschüttet. Der Körper strebt also biologisch gesehen danach, sich Unterstützung zu suchen und Gefühle zu teilen. Neben den sozialen Auswirkungen auf das Gehirn beschützt das Hormon zusätzlich den menschlichen Körper vor den Reaktionen von Stress, insbesondere das Herz. Über Rezeptoren am Herzen hilft Oxytocin dabei, Herzzellen zu regenerieren und von stress-basierten Reaktionen zu heilen. Es trägt dazu bei, dass das menschliche Herz stärker wird. Dieser Effekt wird von sozialen Interaktionen verstärkt. Sucht man sich also in Stresssituationen Hilfe bei Vertrauten, wird mehr Oxytocin ausgestoßen. Dadurch kann man sich schneller von Stress erholen. Die Stressreaktion des Menschen hat dementsprechend einen eingebauten Mechanismus: soziale Interaktion, der die Widerstandsfähigkeit erhöht. Stress hilft gegen Stress.

Wann ist Stress gesund?

Dennoch hört man in den meisten Fällen, dass Stressvermeidung, Meditation, Yoga oder einfache Spaziergänge empfohlen werden. Warum also?

In der modernen Leistungsgesellschaft handelt es sich bei Stress meistens nicht um eine kurzzeitige Erregungsreaktion. Ein voller Terminkalender, Abgabefristen und viele parallele Baustellen sorgen für einen chronischen Langzeitstress, der uns krank macht. 

Kurzzeitige Stressreaktionen, wie vor einer Prüfung oder bei einem Fallschirmsprung können durchaus gesund sein und unseren Körper stärken. Und mal ganz ehrlich: Was gibt es denn Besseres, als das Glücksgefühl etwas hinter sich gebracht zu haben? 

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