Kompromisse

Egal ob in Freundschaften, in der Familie oder in Liebesbeziehungen: Kompromisse gehören zu jeder menschlichen Interaktion dazu. Höchste Zeit also, dass wir lernen sie zu schließen und unsere Grenzen und Bedürfnisse so zu kommunizieren, dass beide Seiten glücklich mit der Situation sind. Doch wie verhandeln wir eigentlich richtig und gibt es Unterschiede zwischen faulen und gesunden Kompromissen?

„Ja die gibt es!“ Meint zumindest Paartherapeutin Chin-Ying Feurich aus Köln. Sie arbeitet seit vielen Jahren mit verschiedenen Paaren und hilft diesen unter anderem auch Kompromisse zu finden. „Kompromisse sind eine feine Sache. Dennoch muss man sich fragen, was es überhaupt bedeutet einen Kompromiss zu schließen. Ein guter Kompromiss sieht ja so aus: Es gibt gegensätzliche Interessen und man versucht eine Lösung zu finden, mit der beide gut leben können.“

So weit, so gut. Aber bedeuten Kompromisse wirklich, dass man sich in der Mitte trifft? Und wie sieht diese Mitte überhaupt aus? Für Frau Feurich liegt genau hier das Problem. Denn viele von uns verstehen Kompromisse ihrer Meinung nach falsch. „Viele Paare glauben, dass es reicht, wenn man dem anderen mitteilt, dass man einfach so sei wie man ist und er oder sie eben Kompromisse eingehen müsse, wenn die Beziehung Bestand haben soll.“ Dass das nicht der richtige Weg sein kann, ist sicher vielen von uns bewusst. Und trotzdem hat sich bestimmt der eine oder die andere schon dabei erwischt, wie man in Diskussionen mit dem Partner das Totschlagargument schlechthin aus dem Ärmel zieht: „Was soll ich denn machen? So bin ich eben!“ Ganz so, als wäre der Mensch nicht in der Lage sich zu ändern. Als kämen wir als fertige Wesen auf die Welt.

Besonders interessant wird es immer dann, wenn es in Paarbeziehungen nicht nur darum geht, wer nun die Wäsche aufhängt oder wer den Müll rausbringt, sondern auch darum, wer auf was im Bett steht und wie Intimität gestaltet werden soll.

Gerade in Zeiten, in denen die Monogamie nicht mehr unbedingt die Norm darstellt und in der die Frage nach der Art der Beziehung genauso normal ist, wie die Frage nach der Geschlechtsidentität; ist es wenig verwunderlich, dass auch die Bandbreite an Kinks, Fetischen und Beziehungsmodellen zugenommen hat. Doch was tun, wenn mein Partner auf BDSM steht und ich mich ganz weit in der Vanilla-Ecke befinde oder wenn ich polyamor leben möchte, meine Partnerin aber auf Monogamie beharrt? Lassen sich da noch Kompromisse finden, oder ist diese Beziehung dem Untergang geweiht?

„Es kommt drauf an“, meint Feurich. „Zunächst einmal sollte man sich darüber bewusst sein, was man mit dem Kompromiss erreichen will. Möchte ich meine Beziehung erhalten oder möchte ich zum Glück in der Beziehung beitragen?“ Hier handelt es sich um zwei verschiedene Ansätze. Im Idealfall sollte man sich also gemeinsam hinsetzen und sich fragen: Was sind deine Bedürfnisse? Was brauche ich, um glücklich zu sein?

Was will ich denn?

Darüber hinaus haben viele Paare die Angewohnheit, den letzten Schritt vor dem ersten zu tun. Das heißt, sie fragen sich zunächst, was gut für die Beziehung ist und erst dann, was jeder Partner für sich möchte. Denn das ist häufig gar nicht so klar, wie es im ersten Moment scheinen mag. Was will ich für mein Leben? Wo liegen meine Grenzen? Wie viel Nähe brauche ich? Wie möchte ich Intimität erleben?

Nach reiflicher Überlegung kommt manch einer so vielleicht zu dem Ergebnis, dass er oder sie die eigenen Bedürfnisse in der aktuellen Partnerschaft gar nicht realisieren kann. Bleiben wir hierfür bei dem Beispiel der Monogamie:

Wenn ich gerne monogam leben möchte, mein Partner aber außer mir noch eine zweite Partnerin hat, können nicht beide Bedürfnisse gleichzeitig erfüllt werden.

An dieser Stelle muss man sich nun fragen, wie wichtig einem der eigene Standpunkt ist. Lässt sich hier ein Kompromiss finden, mit dem beide gut leben können (Der polygame Partner verspricht es bei dieser einen Freundin nebenher zu belassen) oder muss man sich eingestehen, dass es sich hier um eine Beziehung handelt, die zum Scheitern verurteilt ist? Auch die Feststellung, dass kein Kompromiss möglich ist, ist ein valides Ende einer Diskussion.

Natürlich gibt es auch Grauzonen. Vielleicht nicht bei so essentiellen Beispielen, wie dem soeben erwähnten, aber sicher bei weniger gravierenden Bedürfnissen. Denn man muss sich auch in romantischen Beziehungen nicht in jedem Punkt einig sein. Häufig reicht es auch, sich darauf zu verständigen, dass man eben unterschiedlicher Meinung ist. Um zu diesem Punkt zu gelangen, reicht oftmals bereits die Erkenntnis, dass mein Partner nicht alle meine Bedürfnisse erfüllen muss. Den neuen Spiderman-Film kann ich mir auch mit einem Kumpel anschauen und mein Interesse für Salsa teile ich vielleicht lieber mit der besten Freundin.

Das Schöne am Jahre 2022 ist schließlich, dass wir nicht mehr zwanghaft am Bild der Kleinfamilie mit den 2,5 Kindern festhalten müssen. Im Endeffekt ist es nur wichtig, dass es uns und denen die wir lieben gut geht. Das sieht auch Chin-Ying Feurich ähnlich: „Es ist ganz typisch, dass in bestimmten Lebensphasen Beziehungen entstehen. Das Paradebeispiel hierfür ist die Familiengründung. Das sind häufig Beziehungen, die weniger auf der sexuellen Anziehungskraft basieren, sondern viel mehr auf Werten wie Vertrauen und Zuverlässigkeit. Irgendwann stellen beide fest, dass das Liebespaar in diesem Modell nicht wirklich existiert. Und da möchte ich dann auch ermuntern, dies anzuerkennen. Es darf ein funktionierendes Parenting-Team gebildet und das Liebesglück mit jemand anderem gefunden werden. Ganz ohne schlechtes Gewissen.“

Und jetzt?

Wie immer gibt es auch bei Kompromissen keine Blaupause, an die man sich halten kann. Doch wenn man ehrlich zu sich selbst und seinem Partner ist, dann muss nicht jede Meinungsverschiedenheit und jede Abweichung im Lebensentwurf zu einer Grundsatzdiskussion und dem Ende der Beziehung führen. Es wird sich auf der Welt wohl keine Partnerschaft finden, die ganz ohne Kompromisse auskommt und das ist auch gut so, denn Anziehung und Leidenschaft beruhen eben auch auf Spannungen und charakterlichen Unterschieden. Nur eins ist klar: Den Frust herunterzuschlucken und zu allem Ja zu sagen, wird auf lange Sicht wohl keine Beziehung retten. Schweigen ist Silber, Reden ist Gold

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