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Studium: Die Zeit deines Lebens?

Ein erfolgreiches Studium lässt sich nicht mehr so einfach bewältigen wie noch vor einigen Jahren. Heutzutage braucht es neben überdurchschnittlichen Noten bestenfalls auch AuslandserfahrungEhrenämter und Praktika – oder aber die nötige Entschlossenheit, aus dem Hamsterrad der Leistungsgesellschaft auszubrechen.

Wer heute mit ehemaligen Studierenden über ihre Uni-Erfahrungen spricht, bekommt nicht selten ein trügerisches Bild vermittelt: Vertreter der Generation X berichten von prüfungsfreien „Probesemestern“, wöchentlichen Partys, geschwänzten Lehrveranstaltungen und frei einteilbarer Zeit, scheinbar ohne negative Auswirkungen auf Leistungen, Abschlüsse und Berufsaussichten. Trotz vergleichsweise geringer Investitionen zahlte sich ihr Studium langfristig gesehen aus und wurde damit rückblickend zur „besten Zeit ihres Lebens“, einem Ideal, dem heute Millionen junge Erwachsene in ganz Deutschland nacheifern. Ein Großteil von ihnen wird auf diesem Weg jedoch langsam, aber sicher erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben: Die oben erwähnten Erlebnisse und Freiheiten sind oft nur noch dann realisierbar, wenn in anderen Bereichen Abstriche gemacht werden. Ein mehr oder weniger erfolgreiches Studium geht heutzutage einher mit verschiedensten Verpflichtungen, die Studierende wie eine unsichtbare, zwanghafte Bürde von Tag eins an begleiten.

Das Ganze beginnt mit den finanziellen Mitteln: Steigende Mieten und höhere Lebenshaltungskosten haben dafür gesorgt, dass der Weg an die Hochschulen heute nur noch bestimmten Personengruppen offensteht. Zwar erhalten durch das Bafög-System viele junge Menschen die Möglichkeit, auch ohne elterliche Unterstützung ein Studium aufzunehmen, doch die bekannteste deutsche Studierendenförderung steht immer häufiger in der Kritik: Gewerkschaften, universitäre Gremien und Politiker diverser Parteien bemängeln die geringen Elternfreibeträge, die streng regulierte Laufzeit sowie den bürokratischen Aufwand der Antragsstellung. Tausende Studierende fallen momentan durch das Raster, da ihre Eltern dem Staat zufolge genug verdienen, um ihre Kinder allein durch die mehrjährige Ausbildung zu tragen. Die Realität sieht jedoch oft anders aus: Selbst wer von seinen Erziehungsberechtigten Miete und Unterhalt gestellt bekommt, kann nur selten Geld zurücklegen oder auf größere Anschaffungen sparen. Auch Bafög-Berechtigte ohne Anspruch auf den Höchstsatz geraten mitunter in diesen Konflikt.

Millionen angehender Akademiker sind daher auf Nebentätigkeiten angewiesen, um ihr Studium finanzieren zu können. Neben ihrer als 40-Stunden-Job ausgewiesenen Hochschulausbildung helfen sie in medizinischen Einrichtungen, räumen Supermarktregale ein oder zapfen Bier in der benachbarten Gastronomie. Aus einem Vollzeitstudium, wie es in den Prüfungsordnungen so schön heißt, wird somit schnell eine 60-Stunden-Woche, die eine alleinige Konzentration auf den Lernstoff, geschweige denn Freizeit und Erholung, beinahe unmöglich macht. Eine Verlängerung der Studienzeit erscheint als einfachste Lösung, schafft in der Praxis jedoch keine Abhilfe. Nicht nur verliert man mit Überschreiten der typischen sechs Bachelor- bzw. vier Mastersemester den Anspruch auf staatliche Unterstützung, ein „überzogenes“ Studium bringt mitunter auch andere Probleme mit sich.

In einer auf Leistung gepolten, schnelllebigen Arbeitswelt, die jährlich hunderttausende Absolventen in Empfang nimmt, reicht es häufig nicht mehr aus, zum „guten Mittelfeld“ zu gehören. Wer sich verschiedene berufliche Möglichkeiten offenhalten möchte, muss entsprechend viel in seine Ausbildung investiert haben: Darunter fallen nicht nur ein erfolgreicher Abschluss in ungefährer Regelstudienzeit, sondern auch außercurriculare Aktivitäten wie Ehrenämter oder Praktika. Teure Auslandsaufenthalte haben sich von einem Privileg der Wenigen zum Standard-Karrierebooster entwickelt und sind für diejenigen, die oben mitmischen wollen, beinahe unverzichtbar geworden. Wie sich all diese Dinge gleichzeitig bewältigen lassen sollen, bleibt eine offene Frage, auf die niemand so recht eine Antwort findet. Einfach machen – aber zu welchem Preis? Wilde Partys, lange Nächte und faule Vormittage, die das Studentenleben unserer Eltern, Tanten oder Onkel prägten, verschwinden gezwungenermaßen von der Agenda und weichen wochenlangen Schreibtischaufenthalten sowie dem Kampf für Bib-Öffnungszeiten bis Mitternacht. Wer finanziell nicht mithalten kann, ist ohnehin aufgeschmissen, und mit dem Gefühl, in Zukunft trotz Anstrengungen womöglich nicht den Punkt zu erreichen, auf den man jahrelang hingearbeitet hat, sinken Motivation und Disziplin. Nicht zuletzt geht die Mehrfachbelastung auch auf Kosten des mentalen Wohlbefindens, das Risiko für Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen steigt; knapp eine halbe Million Studierende klagen über ernstzunehmende psychische Probleme. Von einem Studium als spannender, interessanter Zeitvertreib spricht heutzutage beinahe niemand mehr. Vielmehr wurde aus der „besten Zeit des Lebens“ ein Mittel zum Zweck, welches uns schon in jungen Jahren lehrt, dass „alles geben“ manchmal eben doch nicht gut genug ist.

Am Ende bleibt die Frage: Was lässt sich tun? In unserer Gesellschaft scheinen sich keine wesentlichen Veränderungen abzuzeichnen – im Gegenteil. Inflationär genutzte Modewörter wie „High Performer” stehen stellvertretend für die Ansprüche, mit denen angehende Akademiker Tag für Tag konfrontiert werden. Daher liegt es auch an uns selbst, für die gewünschten Umbrüche einzustehen. Der erste Schritt dahin ist die Abkehr von der Romantisierung karriere- und konkurrenzorientierter Lebensläufe, ein Symptom, welches den typischen Studierenden im Laufe seiner*ihrer Ausbildung mindestens einmal befällt. Nur weil derartige Entwürfe als Ideal propagiert werden, müssen wir ihnen nicht Folge leisten. Wie schon der griechische Philosoph Epikur zu sagen pflegte: Schlimm ist der Zwang, doch es gibt keinen Zwang, unter Zwang zu leben. Ein gutes Leben und berufliche Selbstverwirklichung sind auch ohne Spitzenposition möglich, auch wenn das bedeutet, andere ganz bewusst an sich vorbeiziehen zu lassen. Diese Fähigkeit müssen viele von uns erst wieder erlernen.

Trotz allem reicht es letztendlich nicht aus, lediglich die eigenen, inneren Konflikte beizulegen. Auf dem Weg zu weniger finanzieller, zeitlicher und emotionaler Belastung und damit auch zu mehr Bildungsgerechtigkeit brauchen wir eine gemeinschaftliche Offensive, die die Stimmen der Studierenden nach außen trägt und somit auch für politische und rechtliche Veränderungen kämpft. Es gilt, den Verantwortlichen ein Stück weit bewusst zu machen, dass wir unter solchen Zuständen nicht länger lernen und arbeiten werden. Irgendwann werden wir uns die Partys und Wochenendausflüge zurückgeholt haben, den Nebenjob an den Nagel hängen und uns dank ausreichender Erholung und Unterstützung wieder voll und ganz auf unser Studium konzentrieren können. Bis dahin ist es ein langer und beschwerlicher Weg – doch er wird sich lohnen, nicht nur für uns, sondern auch für die Generationen, die nach uns folgen werden.

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