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Warum man sich nie wieder für ein „Ähm“ schämen sollte

Eine konkrete Bedeutung sucht man bei ihnen vergebens. Gemeint sind Füllwörter wie „Ähm“oder „Äh“. Gern werden sie, vor allem wenn man es bei sich selbst bemerkt, als eine nervige Angewohnheit abgetan oder als Zeichen von Nervosität wahrgenommen. Im Internet finden sich dutzende Anleitungen, wie man diese „unnötigen“ Füllwörter vermeidet. Manche Politiker*innen trainieren sich sogar an, das unliebsame „Äh“ oder „Ähm“ komplett aus dem Wortschatz zu streichen und durch generische Floskeln wie „Wissen Sie, …“ zu ersetzen. Doch wie kann etwas komplett unnötig und rein störend sein, wenn es sich doch so hartnäckig in allen Sprachen der Welt hält? „Ähm“ im Deutschen, „Um“ im Englischen, „Nuu“ und „Mmm“ im Russischen oder „Neige“ auf Chinesisch, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Das Phänomen des „Äh“ ist nicht erst seit heute Bestandteil der Forschung von Sprachwissenschaftlern. Ein schottisches Experiment hat dabei 2007 die Reden von Politikern genauer unter die Lupe genommen. Sie wollten überprüfen, ob – so dem allgemeinen Konsens nach – eine fehlerfreie Rede bei den Rezipienten besser ankommen würde als eine Rede mit Ecken und Kanten, insbesondere den „Ähs“ und „Ähms“. Anhand der Spannung auf der Kopfhaut der Probanden konnten die Forscher rund um Martin Corley untersuchen, inwiefern diese Füllwörter die Wahrnehmung auf eine Rede beeinflussen. Sie fanden heraus, dass sich die Zuhörern bei einem vorangegangenen „Äh“ oder „Ähm“ unbewusst auf ein nachfolgend schwereres Wort einstellten. Dies hatte auch zur Folge, dass sich Rezipienten der Rede mit Füllwörtern besser an das Gesagte erinnern konnten. Insbesondere die durch das „Äh“ oder „Ähm“ hervorgehobenen Wörter wurden auch eine Stunde später alle korrekt wiedergegeben. 

„Zuhörer sind sensibel für die Art und Weise, wie sich der Sprecher ausdrückt“, erklärt Corey gegenüber wissenschaft.de. „Sprachfehler sind nicht bloß Geräusche und Zeichen einer Sprachfunktionsstörung. Fülllaute und andere Arten von Sprachfehlern sind ebenso Teil des Sprechens wie Wörter und haben einen wichtigen Einfluss auf das Sprachverständnis des Zuhörers.“

Forschung im Restaurant

Zu ähnlichen Erkenntnissen kam auch die amerikanische Sprachforscherin Larssyn Staley. Ihre Beobachtungen sind aber weniger abstrakt und nicht mit der Spannung der Kopfhaut belegt, sondern durch reine Beobachtung und jede Menge transkribieren entstanden. 

Am Anfang stand bei ihr das Essen. Sie besuchte dutzende Restaurants und zeichnete ihre Gespräche mit den Kellnern auf. Heißt konkret: Begrüßung, Speisekarte besprechen, Getränke und Essen bestellen, Nachspeise und die Rechnung bitte. Neben hoffentlich dutzenden guten Speisen interessierte Staley sich aber vor allem für die insgesamt 37 Stunden langen Gespräche, die sie im Anschluss transkribieren musste. Ziel war es zu untersuchen, wie oft, an welchen Stellen und vielleicht am wichtigsten, zu welchem Zweck die englische Variante „Um“ benutzt wurde. Die Ergebnisse lassen sich ganz gut mit ein paar Beispielen zeigen, die auch auf andere Lebensbereiche übertragen werden können. 

Beispiel 1: 

Gast: Wir nehmen ein Leitungswasser.

Bedienung: Ein Leitungs- äh normales Wasser.

In diesem Beispiel dient das Füllwort als eine Reparatur. Während es menschlich ist, das Gesagte vom Gast 1:1 zu übernehmen, so ist der Begriff „Leitungswasser“ für eine Bedienung in einem Restaurant nicht die gängige Ausdrucksweise. 

Beispiel 2:

Bedienung: Das Lamm wird mit einer äh Kruste serviert, mit ähm einer Kräuter- und ähm Senfkruste. 

Was auf dem Papier oder Bildschirm grausam aussieht und den Lesefluss erheblich stört, fällt in den alltäglichen Unterhaltungen kaum auf. „Zwischen den verschiedenen Speisen, die man bestellen konnte, war oft ein „Uh“ oder „Uhm“ zu hören“, erzählt Larssyn Staley gegenüber zeit.de. „Es ist wie ein Rahmen.“ Ähnlich wie bereits in der schottischen Studie beobachtet, dienen die Füllwörter hier zum einen dazu, schwere oder wichtige Worte hervorzuheben, aber auch um anzudeuten, dass ein neuer Themenabschnitt erreicht ist.

Endgegner Nomen

„Sprechen ist etwas hoch Komplexes“, sagt Balthasar Bickel, Linguist an der Universität Zürich, auf der Website des SRF. „Innerhalb kürzester Zeit laufen wahnsinnig viele Dinge ab.“ Nach nur 200-600 Millisekunden versucht unser Gehirn das Gehörte zu interpretieren. Das lässt sich auch gut daran erkennen, dass wir (teilweise unterbewusst) versuchen, einen Satz vor seinem Ende zu vervollständigen. Nach 600 Millisekunden sind der Mund und die Zunge bereit für eine Antwort. „Es herrscht ein unglaublicher Zeitdruck in diversen Hirnarealen“, so Bickel. Genau aus diesem Grund sei es durchaus sinnvoll, dass Füllwörter dem Hirn eine kleine Entspannungspause geben – vor allem bei Nomen, wie Bickel in einer Studie herausgefunden hat. „Die Planung eines Nomens dauert ein paar Millisekunden länger.“ Das hängt damit zusammen, da Nomen meistens neue Informationen in eine Unterhaltung einführen, die bisher noch nicht erwähnt wurden. 

„Ähs“ und „Ähms“ sind also bei Weitem nicht nur unliebsame Begleiter, die um jeden Preis verhindert werden sollten. Dementsprechend sind auch nur die wenigsten Menschen therapiebedürftig. Um herauszufinden, ob man selbst dennoch zu viele dieser Füllwörter benutzt, gibt es eine recht effektive Methode. Grundsätzlich können Zuhörern am besten einschätzen, ob jemand zu viele „Ähs“ in seine Sätze einbaut. Doch nicht immer ist es einfach, eine ehrliche Antwort aus dem eigenen Umfeld herauszubekommen. Deswegen kann es helfen, sich selbst ab und zu beim Sprechen aufzunehmen und darauf zu achten, ob es bestimmte Situationen gibt, in denen man besonders anfällig dafür ist. Mit diesen Erkenntnissen kann man sich gezielter „Ähs“ und „Ähms“ abgewöhnen. Dabei sollte aber nie vergessen werden: Die ein oder andere Unsicherheit wird meistens vom Redner/der Rednerin selbst als unangenehmer empfunden als von den Zuhörer*innen. Manchmal macht das doch sogar einen ganz sympathischen Eindruck.

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